Bitte nicht kaufen…

Nach »Kind 44« war ich gespannt auf den neuen Roman von Tom Rob Smith, dem gerade mal 30jährigen Autor aus London. Der erste Roman gefiel mir wegen seiner genauen Recherchen des Alltagslebens in Russland während der Stalin-Aera. Das Buch hatte einige kleine Mängel, es konnte eigentlich nur besser werden. Dachte ich. Schade, mit seinem Roman »Kolyma« ist Smith weit über sein Ziel hinausgeschossen.

Der Inhalt: Moskau 1956. Nach der geheimen Rede Cruschtschows, in der er sich von Stalin distanziert, herrscht Aufruhr in der Sowjetunion. Überlebende der großen Säuberungen melden sich anklagend zu Wort und es kommt zu ersten Racheakten. Der ehemalige KGB-Offizier Demidow soll den Tod von zwei Geheimdienstlern aufklären. Soweit – so spannend. Doch dann kommt es knüppeldick für den Demidow – und für den Leser. Die Adoptivtochter des Ermittlers wird entführt – ausgerechnet von einer Pfarrersfrau, die Demidow zu KGB-Zeiten verraten hat und die nach ihrer Freilassung aus dem Arbeitslager zum Racheengel mutiert. Leben gegen Leben. Demidow soll den Pfarrer, der seit sieben Jahren im berüchtigten Lager Kolyma in Sibirien einsitzt, befreien.

Von da an wird nur noch dick aufgetragen und selbst James Bond würde neidisch ob der Fähigkeiten des Polizisten. Demidow lässt sich ins Lager einschmuggeln – Zerschlagung eines Gefangenenaufstandes unter Deck des Transportschiffes inclusive. Er wird von Mithäftlingen, die ihn erkennen, gefoltert. Er geraät an einen geläuterten Lagerkommandanten, der seine Häftlinge öffentlich um Verzeihung bittet. In einem spektakulären Showdown flieht er aus dem Lager und befindet sich wieder in Moskau – natürlich mit dem Pastor. Die Übergabe scheitert, seine Tochter stirbt.

Mmh, dachte ich beim Lesen. Warum ist jetzt nicht Schluss, warum muss ich immer noch 170 Seiten lesen?
Haha. Die Tochter ist aber gar nicht tot, war alles nur gefaked. Sie wollte nämlich viel lieber bei Ihrem Racheengel bleiben und mit dem nach Ungarn ziehen und einen Volksaufstand anzetteln? (Schließlich haben wir ja 1956). Das Buch zu Ende gelesen habe ich nur, weil ich wissen wollte,  wie Smith die Kurve kriegt und die Klammer schließt.
Ich mache es kurz: Demidow reist nach Budapest, findet seine 14jährige Tochter, die gerade ihre ersten Schießübungen macht und sich zum ersten Mal verliebt. Er holt sie – natürlich unter dramatischsten Umständen nach Hause. Die Geläuterte versöhnt sich mit der Familie und lässt sich – damit endet das Buch dann tatsächlich – vom Vater eine Gute-Nacht-Geschichte erzählen.
Fazit: So etwas möchte ich nie wieder lesen.

Aus Verlagssicht klingt das übrigens so:
In Tom Rob Smiths zweitem Thriller geht es auf dramatische Weise um Schuld und Sühne. Kann man vergangenes Unrecht wiedergutmachen? Noch nie war die Antwort auf diese uralte Frage so spannend.

Tom Rob Smith
Kolyma
Dumont Verlag
€ 19,95