Das Foto zum Wochenbeginn und seine Geschichte

Ameland… Hohes Land und tiefe Wolken sind mir allemal erträglicher als die Begleiterscheinungen der fünften Jahreszeit. Deshalb gehe ich ihr jedes Jahr konsequent aus dem Weg. Der Fernseher wird abgeschaltet, das Radio leise gedreht, der Wagen gestartet und bis zur Küste sind es gerade einmal drei Stunden. Auf der Fähre stelle ich dann schnell fest, ich bin nicht der einzige Karnevalsmuffel. Eine gelassen-fröhliche Amelandgemeinde hat sich auf dem Boot versammelt: Familien mit Kindern (die holländischen Kinder dürfen immer mehr als die deutschen!), ältere Ehepaare, wir sind irgendwie dazwischen und gehören trotzdem dazu…

Die Insel begrüßt uns eigentlich wie immer. Gleich hinter der Mole auf dem Weg ins Dorf liegt rechts die erste Kneipe und dahinter der erste Fahrradverleih. Das ist schon seit vierzig Jahren so. Gegen den Wind gestemmt sind es nach Nes dann doch immerhin zwanzig Minuten. Hier nehme ich Gerüche wahr, die so sehr an Urlaub und Kindheit erinnern, noch bevor das eigentliche Zentrum erreicht ist. Die Luft riecht nach Meer und Wasser, aber bald vermischt sie sich mit dem Waffelgeruch, der der Bäckerei de Jong entweicht, der wiederum mit den Ausdünstungen von Metz Vishandel konkurriert. Metz’ Fisch ist auf der ganzen Insel berühmt und schon von weitem zu orten. Meine Begleiterin zieht tapfer ihren Koffer über das holprige Pflaster, sie lässt sich nicht helfen. Deshalb trabe ich leise pfeifend mit einer kleinen Tasche über der Schulter neben ihr her. Direkt gegenüber dem Hotel steht ein rotes Backsteingebäude, das früher den VVV, das Touristenbüro beheimatet hat. Heute wird es mal so, mal so benutzt, im Moment als Galerie. Hier eine Buchhandlung! Davon habe ich schon häufig geträumt. Eine Kinderbuchhandlung, halb niederländisch, halb deutsch für die vielen tausend Familien, die hier jedes Jahr ihre Ferien verleben. Das wäre doch was.

Wir entledigen uns schnell unseres Gepäcks, wollen wir doch die letzten zwei hellen Stunden des Tages nutzen. Es ist windstill. Selten genug auf Ameland. Wir laufen die kurze Strecke bis ans Meer. Und wenn bis jetzt einer von uns beiden noch kleine Zweifel gehabt hat, ob die Entscheidung Ameland richtig gewesen war, hier werden sie ausgeräumt. Strand und Dünen soweit man schauen kann, ein paar einsame Strandläufer, Möwen sind eindeutig in der Mehrzahl. Wir laufen und laufen und in der Dämmerung erreichen wird das Neser Strandrestaurant, das – auf Stelzen gestellt – jeder Sturmflut standhalten würde. Hier sitzen wir und schlürfen Kaffee und Weißwein. Es geht uns richtig gut und das, da sind wir uns sicher, ohne darüber reden zu müssen, wird sich auch bis zum späten Sonntagabend nicht mehr ändern.