Mein Dezember, Teil 10

 

Dezembertage

Die Erinnerung tut heute noch weh.
Ich hatte immer eine schöne und intensive Beziehung zu meinen Großmüttern. Beide hatten ihre Eigenheiten, waren auf ihre eigene Art speziell, wie Omas nun einmal sind.


Die eine scheute keine politische Diskussion, der Petitionsausschuss war ihre Lieblingsanschrift und ich mochte es sehr, wenn ich ihre Wohnung betrat und im Radio Johnny Cash über St. Quentin stänkerte. Meine kleine Oma, die acht Kinder plus Mann ‚durchgebracht‘ hat, die nach all den Jahren nie verlernt hatte zu lachen, war ein echtes Kind des Ruhrgebietes. Eine, eigentlich die einzige, die ich kenne, die sich ihrer tiefen Lachfalten nie schämte.
Meine andere Großmutter war schon seit Jahren nicht mehr die, die sie einmal war. Innerhalb weniger Jahre überlebte sie mehrere Schlaganfälle und war danach ein Pflegefall. Bevor sie dieses Schicksal ereilte, war sie die ordentlichste und feinste Dame, die ich je kennen durfte. Als ehemalige Bankkauffrau war sie eine ausgesprochen akribisch genaue Frau. Ihre eigentlichen Erkennungsmerkmale waren allerdings ihre immer geröteten Wangen, ihr vom Friseur wöchentlich kunstvoll gelegtes rubinrotes Haar und ja – auch sie lachte herzlich und gerne.
Mit ihrer Liebe, ihren Gefälligkeiten der kleinen oder auch größeren Art, mit ihren unkonventionellen Geschichten haben sie geholfen, mich einigermaßen heile durch meine Kindheit und Jugend zu begleiten.
Als sie vor zwei Jahren innerhalb von nur wenigen Dezembertagen beide starben, waren sie gerade einmal siebzig und einundsiebzig Jahre alt.
dh