Mein Dezember, Teil 27

Schlitten

Wissen Sie eigentlich, wie schön Schnee sein kann? Wie sehr hätte ich mir Schnee gewünscht, weiße Weihnachten sind einfach großartig. Die Wetterkapriolen der letzten Wochen hingegen einfach ein Graus. Vor 20 Jahren, als ich mit meinem nigelnagelneuen „Davos“-Holzschlitten auf der Ruhr verzweifelt darum kämpfte vom Eis zu kommen, war das anders.


Seit Heiligabend saß ich jeden Tag mit meinem Weihnachtsgeschenk vor der Haustür. In den Händen Skiwachs und eine Schweineschwarte. Man möchte vorbereitet sein, wenn denn endlich der lang ersehnte Schnee vom Himmel fällt. So sehr ich aber auch immer wieder bittend und bettelnd Richtung Wolkendecke blickte, nichts passierte. So vergingen mehrere Tage. Es wurde zu einem Ritual. Aufstehen, der Blick aus dem Fenster, nichts. Graue Straßen und gerupfte Bäume, mehr nicht. Meinen Flitzer präparierte ich trotzdem jeden Tag, schließlich ist Vorbereitung Alles.
Ich konnte es kaum fassen, als ich es schon von meinem Bett aus sah. Freudespringend eilte ich unter der Decke hervor. Es hatte fünf Tage gedauert, aber das war jetzt egal. Nichts konnte mich nun noch aufhalten. Sei vorsichtig, hörte ich meine Mutter noch lauthals rufen, aber da war ich auch schon ums Eck. Der Schellenberger Wald als Ziel auserkoren, mehrere steile Hänge und Pisten wollten gerodelt werden. Und ich rodelte sie alle, vorwärts, kopfüber oder zu Zweit. Nur auf eine Strecke traute ich mich nie. Steil war sie nicht, auch besonders gefährlich schien sie nicht zu sein.Und doch, sie hatte etwas Gruseliges. Die Piste war in unmittelbarer Nähe zur Ruhr. Nur „die Großen“ trauten sich tatsächlich hinunter. Bis heute weiß ich nicht, was mich doch auf diese Strecke trieb. Die Fahrt war kurz, der Bremsweg zu lang. Ich rutschte auf die Ruhr, unter mir nur eine dünne Eisschicht und in mir ein angstpochendes Herz. Ich hatte wohl mehr Glück als Verstand. Zentimeter für Zentimeter „paddelte“ ich, auf meinem Schlitten liegend, zum rettenden Ufer „Sei vorsichtig…“ hallte es in meinem Ohr.
dh

(Das heutige Bild ist dem wunderbaren Buch „Kindheiten“ von Jean-Jacques Sempé (39.90€), erschienen im Diogenes Verlag, entnommen worden.)