Mein Dezember, Teil 25

Bär

Mein Bär war meine erste Liebe. Ich bekam ihn geschenkt vermutlich an Weihnachten 1963 und wer auch immer ihm den Namen gab, der dicke Braune hieß von Stunde an Ajax. Im Haus beobachtete er jeden meiner Schritte. Im Bett lag er neben mir, beim Essen saß er vor mir, auch beim wöchentlichen Bad hockte er auf der Wannenkante und bekam den ein oder anderen unfreiwilligen Spritzer ab. Selbst einen Sturz in die Fluten nahm er mit stoischer Ruhe hin, obwohl dieses eine Mal fatale Folgen für ihn hatte.

Da meine Mutter mir nämlich verboten hatte meinen Ajax mit in die Wanne zu nehmen, musste ich den nassen Bären hinterher ziemlich schnell wieder trocken bekommen. Ich setzte ihn also auf den Kohleherd in der Küche, wälzte ihn hin und her bis er nach kurzer Zeit kein flauschiges Fell sondern nur noch verkokelte struppige Reste desselben hatte. Unserer Liebe hat das keinen Abbruch getan, im Gegenteil, es schweißte uns nur noch mehr zusammen. Einmal zum Beispiel durfte ich, selten genug, bei meiner Patentante übernachten. Erst spät abends, ich lag schon bettfertig auf der Couch im kleinen Zimmer fiel mir auf, dass Ajax mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit zu Hause traurig darauf wartete, dass ich endlich käme, womit mir und meiner Tante eine lange Nachtwanderung beschert wurde. Den ersten Lachkrampf in meinem Leben bekam ich übrigens als mein Vater an einem Mittwochabend ankündigte er würde sich das Fußballspiel Borussia Dortmund gegen Ajax Amsterdam im Fernsehen anschauen. Wie konnte man nur einen ganzen Fußballverein nach meinem Bären benennen? Ein bisschen stolz machte es mich allerdings auch. An Weihnachten gab es ein besonderes Ritual. Am Morgen nach der Bescherung stand ich immer als erster auf, nahm meinen Bären und trug ihn ins schwach erleuchtete immer noch geheimnisvolle Weihnachtszimmer. Es war mittlerweile ausgekühlt, roch aber betörend nach Christbaum, Kerze und dem Zigarettenrauch meines Vaters. Dann zeigte ich meinem Freund all die Sachen, die ich geschenkt bekommen hatte. Ich schwöre, ich kann mich genau erinnern: er brummte immer leise und nickte anerkennend.
Ein letztes Mal passierte das am Weihnachtsmorgen 1973. Kurze Zeit später zwang mich das Leben dazu erwachsen zu werden und für meinen Ajax war kein Platz mehr. Er wanderte in eine Kiste und einige Jahre später, zu einem Zeitpunkt, an dem ich überhaupt nichts mehr mit dem kleinen Jungen von früher zu tun haben wollte, warf ich ihn in den Müll.
Es war eine der allergröbsten Fehlentscheidungen in meinem Leben.
ts